Ernst Lauermann/Peter Trebsche (Hrsg.)
Beiträge zum Tag der Niederösterreichischen
Landesarchäologie 2016
Impressum
Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums N. F. 531
Asparn/Zaya 2016
Gesamtproduktion: Bösmüller Print Management GesmbH & Co. KG
ISBN: 3-85460-290-5
Umschlagbild: Haselbach „Im äußeren Urban“: Grabungsläche 1 in der latènezeitlichen Zentralsiedlung, Blick von
Norden (Foto: Landessammlungen Niederösterreich, P. Trebsche).
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Vorwort zum 7. Tag der NÖ Landesarchäologie
Am 11. Juni indet heuer zum 7. Mal der Tag der Niederösterreichischen Landesarchäologie statt. Dieser Tag ist für
die Landesarchäologie bereits zur Tradition geworden,
es werden neue Ergebnisse von diversen Forschungsund Grabungsprojekten vorgestellt.
MAMUZ in Asparn und Mistelbach hat sich in den letzten
Jahren als Kompetenzzentrum für Ur-, Frühgeschichte
und Mittelalterarchäologie bestens bewährt. MAMUZ ist
eine Erfolgsgeschichte weit über die Grenzen Niederösterreichs hinaus.
Im MAMUZ Asparn wird heuer die Sonderausstellung
„News from the Past“ gezeigt. Neueste archäologische
Grabungsergebnisse der letzten drei Jahre geben einen
tiefen Einblick in unser archäologisches Erbe. Hierbei
möchte ich mich besonders bedanken bei Mag. Dr. Ronald Risy vom Stadtmuseum St. Pölten und Mag. Dr. Martin Krenn vom Bundesdenkmalamt, die wesentlich zum
Gelingen der Ausstellung „News from the Past“ beigetragen haben.
Im MAMUZ Mistelbach wird die Reihe großer internationaler Sonderausstellungen fortgesetzt. STONEHENGE
ist das Thema, das wohl weite Besucherkreise anlocken
wird. Mein besonderer Dank gilt hier dem Wissenschaftler des Jahres 2015 PD Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Wolfgang
Neubauer vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie, der mit seinem englischen Partner Dr. Julian Richards von ARCHAEmedia die große Ausstellung STONEHENGE im MAMUZ
Museum Mistelbach kuratiert hat.
Wissenschaftliche Forschung und deren Vermittlung haben einen Bildungsauftrag, den es heißt, nach Kräften zu
erfüllen. Die Bedeutung unseres archäologischen Erbes
muss in den Köpfen der Menschen möglichst stark verankert werden. Das ist der Auftrag und die Herausforderung, der wir uns zu stellen haben.
Ich freue mich sehr, Sie am Tag der Niederösterreichischen Landesarchäologie begrüßen zu dürfen.
Dr. Ernst Lauermann
Landesarchäologe für Ur- und Frühgeschichte und
Mittelalterarchäologie
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Inhaltsverzeichnis
Alexander Binsteiner:
Die Verbreitung der Arnhofener Plattenhornsteine im Alt- und Mittelneolithikum entlang der
Donauroute nach Niederösterreich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
Peter C. Ramsl:
Latènezeitliche Gräber in Petronell-Carnuntum – Krieger, bewafnete Männer oder einfach
Rollenbilder einer Gesellschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .12
Peter Trebsche und Stephan Fichtl:
Die latènezeitliche Zentralsiedlung von Haselbach (Gemeinde Niederhollabrunn) – zum Beginn des
französisch-österreichischen Forschungsprojektes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
Ronald Risy:
Neuigkeiten zu Aelium Cetium aus dem Untergrund von St. Pölten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
Roman Igl:
Das spätrömische Kleinkastell von Wallsee. Vorläuige Ergebnisse der archäologischen Untersuchung. . . . . . . . . . 45
Christian Gugl, Wolfgang Neubauer, Mario Wallner, Klaus Löcker, Geert Verhoeven und Franz Humer:
„ArchPro Carnuntum“ – Erste Ergebnisse der geophysikalischen Messungen 2012–2015 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .51
Judith Benedix:
Freundorf und Pottenbrunn – zwei langobardenzeitliche Gräberfelder im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
Nina Brundke:
Ein Gräberfeld des späten Frühmittelalters auf dem Oberleiserberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
Andrea Stadlmayr, Margit Berner und Doris Pany-Kucera:
Die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kindergräber vom Michelberg bei Haselbach –
eine methodisch-anthropologische Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
Martin Obenaus und Wolfgang Breibert:
Kindsmörderinnen, Silberdiebe und „Zigeuner“ – Der Richtplatz des Landgerichtes Gföhl
im 17. und 18. Jahrhundert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
Volker Lindinger:
Untersuchungen zu einer Funkmessanlage aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges auf dem
Michelberg bei Haselbach, Niederösterreich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
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Latènezeitliche Gräber in Petronell-Carnuntum – Krieger, bewafnete Männer oder einfach Rollenbilder einer Gesellschaft?
Peter C. Ramsl1
Fundgeschichte
Quellenkritik
Die sieben Gräber vom Heideweg im Jahre 2003 bilden
neben einem Lesefund im Bereich des sogenannten
westlichen Gräberfeldes (Ramsl 2006) den frühesten
Nachweis latènezeitlicher Gräber im Bereich von Petronell-Carnuntum.
Aufgrund einer Notgrabung infolge des Baus eines Einfamilienhauses im Heideweg, Gemeinde Petronell-Carnuntum, wurden im Spätherbst 2003 auf einer Fläche
von knapp über 2000 m2 140 Gräber der römischen
Kaiserzeit und sieben der ausgehenden Frühlatènezeit
durch die Abteilung für Bodendenkmale des Bundesdenkmalamtes aufgedeckt. Dem Grabungsteam unter
der Leitung von Mag. Franz Sauer gehörten u. a. Mag.
Ursa Jarc und Wladimir Stachura an. Nach der Dokumentation und Bergung der Bestattungen wurden die
menschlichen Skelette der Anthropologin Dr. Silvia
Renhart zur Bearbeitung übergeben; die Tierknochen
der Fleischbeigaben gingen an den Archäozoologen
Dr. Erich Pucher (Naturhistorisches Museum Wien). Die
geborgenen Artefakte wurden in den Restaurierungswerkstätten des Bundesdenkmalamtes im Arsenal und
in Mauerbach durch Mag. Murat Yasar restauriert und
schließlich teilweise von Stefan Schwarz gezeichnet.
Die Fundaufnahme durch den Autor erfolgte im archäologischen Depot in der Kulturfabrik Hainburg. Hier
konnten insgesamt noch 35 Artefakte gezeichnet, digitalisiert und beschrieben werden. Schließlich erfolgten
die typologische und chronologische Einordnung der
Objekte sowie die Einbindung der Gräbergruppe im engen geographischen Rahmen.
Die Bestattungen wurden nach den üblichen archäologischen Methoden dokumentiert, geborgen und restauriert. Leider konnte ein kleiner Teil der Artefakte im Depot
trotz mehrmaliger, intensiver Suche nicht aufgefunden
werden. Allerdings handelt es sich dabei nicht um Funde,
die feinchronologisch von großer Wichtigkeit wären.
Ein Teil der Gräber selbst war durch (zeitgenössischen)
Grabraub beeinträchtigt. So waren Grab 7, 11, 45 und 89
im Bereich der beigesetzten Körper in verschiedenster
Weise mittel bis schwer verworfen. Dadurch „fehlen“
nicht nur die Beigaben und Trachtbestandteile, sondern
auch die Information der Lage zueinander. Daher war
es in diesen Fällen zwar möglich, die verbliebenen Funde chronologisch einzuordnen und zu vergleichen, eine
eingehende Analyse war dadurch nur bedingt möglich.
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Beschreibung der Gräber
Grab 2A
Grabgrube mit Kinderbestattung (3–6 Jahre, Geschlecht?): Süd–Nord-orientierte Körperbestattung in
gestreckter Rückenlage (Abb. 1), je eine Bronzeibel auf
den Schultern, an der rechten Seite des Skeletts (von
Süd nach Nord) zwei Keramikgefäße, eine Schale und
Tierknochen (Schaf).
1
Petronell, Grab 2A, Überblick (Foto: BDA, F. Sauer).
2
Petronell, Grab 7, Überblick (Foto: BDA, F. Sauer).
Grab 7
(von Süd nach Nord) stehen ein Töpfchen, zwei Kegelhalsgefäße, daneben eine Schale und in einem Abstand
von 40 cm an der Schachtwand Gefäßfragmente, „darin
Reste von Holzkohle und Leichenbrand“, nordwestlich
davon Tierknochen und noch eine Schale.
Grabschacht mit Männerbestattung (35–45 Jahre) und
möglicherweise Urnenbestattung: stark gestörte Körperbestattung im Westteil des Schachtes, wobei nur
mehr der linke Unterschenkel in situ war (Abb. 2).
Von Süden nach Norden, parallel zum nicht erhaltenen
rechten Bein liegen eine eiserne Lanzenspitze (nach
Norden orientiert), im Bereich des rechten Beckens Eisenfragmente, im linken Bereich ebenso, im unteren Bereich des Oberkörpers ebenfalls Eisenfragmente und ein
bronzener gerippter Ring. An der rechten Körperseite
Grab 11
Grabschacht mit Männerbestattung (41–50 Jahre) im
Zentrum eines annähernd quadratischen Grabgartens:
Skelett in gestreckter Rückenlage (Süd–Nord-orientiert),
Oberkörperbereich und Füße waren gestört (Abb. 3).
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3
Petronell, Grab 11, Detail (Foto: BDA, F. Sauer).
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Petronell, Grabumhegung Objekt 3, Überblick (Foto: BDA, F. Sauer).
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Petronell, Grab 35, Detail (Foto: BDA, F. Sauer).
Beim linken Fuß lag ein langer Lanzenschuh, auf gleicher
Höhe an der Ostseite des Schachtes eine grautonige
Schüssel „mit Inhalt“, neben dem rechten Bein Tierknochen. Im Bereich des Oberkörpers kamen Keramik- und
Eisenfragmente, im Bereich des linken Oberarmes weitere Eisenreste zutage. Ausgehend vom Nordost-Eck
des Grabschachtes standen zwei Kegelhalsgefäße, eine
Schale und nördlich davon eine kleinere Schale.
Objekt 3 (Grabumhegung)
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Das Objekt ist eine annähernd quadratische Grabenanlage, Nord–Süd-orientiert mit einer Eingangsöfnung
im Süden (Abb. 4). Das Nordost-Eck leicht verlängert,
es gibt Pfostensetzungen beim Nordost-Eck außen
(Obj. 5) und innen (Obj. 9?) sowie im Südost-Eck innen.
Ausbuchtungen an der Grabenkante deuten auf Pfos-
6
Petronell, Grab 35, Überblick (Foto: BDA, F. Sauer).
tensetzungen. Die Ausmaße betragen 770 x 720 cm, die
Breite 50–90 cm und die Tiefe 20–30 cm.
Grab 35
Grabschacht mit Männerbestattung (41–50 Jahre):
Skelett in gestreckter Rückenlage (Süd–Nord-orientiert) an der Westseite des Grabschachtes, der Kopf
ist leicht nach links gedreht, die rechte Tibia und beide
Füße fehlen (Abb. 5–6).
In der Westhälfte befanden sich links vom Kopf eine Eisenlanzenspitze, unter dem Kiefer einige Eisenfragmente, im Bereich der linken Schulter eine Eisenibel und oberhalb der rechten Schulter ebenso Eisenfragmente. Auf
der linken Körperhälfte (von der Mitte des Brustkorbs bis
zur Mitte der Oberschenkel) lagen ein Eisenschwert mit
vier Eisennieten im Gribereich, im Beckenbereich wiederum Eisenreste, bei der linken Hand ein Eisenmesser
und im Fußbereich Eisenreste. Rechts neben dem Körper
(von Süd nach Nord) standen ein Keramikgefäß, daneben ein laschenförmiges Gefäß und nördlich davon zwei
Schalen. Danach folgten Tierknochen, beim rechten Knie
ein kleines Gefäß und auf Fußhöhe ein Topf.
Grab 45
Grabschacht mit Männerbestattung (45–55 Jahre),
welche im Nordwest-Bereich durch Grab 68 gestört
ist (Abb. 7). Das Skelett (SSO–NNW-orientiert) war
fast komplett verworfen. Im Ostbereich (von Nord
nach Süd) befanden sich ein grautoniges, daneben ein
schwarztoniges Gefäß und drei weitere Keramiken. Im
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Südwesten lagen eine Eisenschere, parallel zu ihr nach
Osten ein Schleifstein und einige weitere Fragmente eines Eisenmessers.
Grab 84
Grabschacht mit Männerbestattung (41–50 Jahre):
Skelett in gestreckter Rückenlage (Süd–Nord-orientiert), der Oberkörper fehlt, Füße, Oberschenkel, das
rechte Becken und die Lendenwirbelsäule sind in situ; im
Bereich des Oberkörpers liegen zwei Schädel (Abb. 8).
In der Westhälfte sind bei den Füßen Eisennägel, rechts
vom rechten Oberschenkel ein Eisenring zu inden.
Östlich davon liegen die Reste einer eisernen Schwertscheide, im Beckenbereich und an der Innenseite des
rechten Oberschenkels Eisenfragmente. Oberhalb des
Kopbereiches zwei Eisenreste und rechts des Oberkörpers eine Eisenlanzenspitze. In der Osthälfte (von Süd
nach Nord) stehen rechts des Kopfes ein laschenförmiges Gefäß, anschließend eine Schale, auf Fußhöhe sind
Tierknochen und ein Eisenfragment zu inden.
Grab 89
Grabschacht mit Männerbestattung (41–50 Jahre):
stark zerplügte Bestattung, komplett verworfen, im
SO-Bereich Reste von Rippen. In der Mitte der Grabsohle Reste eines grautonigen Gefäßes sowie Skelettreste,
im südlichen Teil Tierknochen.
Analyse und Bewertung
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Petronell, Grab 45, Überblick (Foto: BDA, F. Sauer).
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Von den sieben Gräbern mit acht Bestattungen sind
fünf als gestört zu betrachten, was die Aussagekraft
einer Analyse (aufgrund der Quellenkritik) natürlich
einschränkt. Hervorzuheben ist Grab 7 mit einer Körper- und einer Brandbestattung. Birituelle Gräber sind
bei näherer Analyse von latènezeitlichen Gräberfeldern
durchaus gängig, wie beispielsweise bei Grab 1984/6a
von Ossarn im Traisental, in dem eine Körperbestattung
mit zwei Urnen und einer Brandbestattung lag (Ramsl
in Vorb.).
Über die Bewafnung ist Folgendes zu sagen: In Grab 7
sind eine Lanzenspitze und Fragmente einer Schwertscheide zu inden, in Grab 11 ein Lanzenschuh und (vermutlich) die Fragmente einer Schwertscheide, Grab 35
ist vollständig erhalten mit Lanzenspitze und Schwert
in der Scheide, und Grab 84 enthält eine Lanzenspitze,
Fragmente einer Schwertscheide sowie Schildrandteile.
Also scheinen bei allen vier Bestattungen Schwerter
und Lanzen mitgegeben worden zu sein, allein Grab 84
enthält auch Hinweise auf einen Schild.
Die kritische Analyse erfordert es, einerseits das biologische und soziale Geschlecht und andererseits die Bedeutung und den Status der Bewafnung bei latènezeitlichen Bestattungen zu diskutieren.
Das Skelett in Grab 2A wird anthropologisch als das eines Kindes (Alter: 3–6 Jahre) bestimmt, das biologische
Geschlecht ist unbekannt. Als Trachtbestandteile sind
zwei Fibeln vorhanden, die jeweils auf der rechten und
linken Schulter zu inden sind. Diese Anzahl und Anordnung deuten bei adulten Individuen zumindest statistisch eher auf eine Frauentracht hin, dennoch können
(nicht nur) bei Kindern weitere Überlegungen angestellt werden. Wie schon bekannt (Ramsl 2010) können
die Trachtbestandteile von Kindern unterschiedlich interpretiert werden. Sind zwei Armreife an den Handgelenken hier nicht unbedingt mit der weiblichen Sphäre gleichzusetzen, so ist die spiegelgleich-symmetrische
Fibeltracht ähnlich zu hinterfragen. Wie aus vielen historischen Beispielen bekannt, haben Buben oft Bekleidung getragen, die heutzutage als eher weiblich angesehen wird, wie beispielsweise in Amerika um 1850, wo
Buben rosa Kleidchen trugen (Grisard 2014, 65 Abb. 3).
Gräber von anthropologisch männlich bestimmten Individuen mit Wafen wurden und werden oft ohne zu zögern als „Kriegergräber“ bezeichnet. Dabei muss man
sich bewusst sein, dass „Krieger“ ein höchst interpretativer Begrif mit vielen Bedeutungen ist. „Krieger“ ist
ein Status, den man durch Initiation in einem bestimmten Alter erhält (siehe auch Ramsl 2015, 329–330), was
aber nicht bedeutet, dass jeder, dem Wafen ins Grab
gelegt werden, aktiv an Kamphandlungen beteiligt gewesen sein muss. Ebenso könnte er sie rein aus Statusoder Prestigegründen erhalten haben oder er könnte
beispielsweise der Vorstand eines landwirtschaftlichen
Hofes, also einer familia, gewesen sein (Waldhauser
1993, 396). Anthropologische Ergebnisse aus Niederösterreich lassen sogar erahnen, dass aufgrund zum überwiegenden Teil fehlender Pathologien an den Skeletten
entweder der Krieg extern ausgetragen wurde oder es
sich wirklich um eine halbwegs friedfertige Phase handelt – abgesehen davon, dass sich ja nur ein Teil der
möglichen Verletzungen am Skelett abzeichnet (Novotny in Vorb.).
8
Petronell, Grab 84, Überblick (Foto: BDA, F. Sauer).
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Schließlich muss daran erinnert werden, dass es im
latènezeitlichen Milieu auch anthropologisch bestimmte Frauen gibt, denen Wafen ins Grab gegeben wurden.
Hiermit beschäftigt sich das Forschungfeld der „gender
identities“, also der sozialen Identität, in seiner ganzen
Bandbreite (Röder 2014). Dabei muss uns bewusst sein,
dass unsere gängige Vorstellung von geschlechtsspeziischen Rollenbildern auf den westlich-christlichen Kategorien von Männern und Frauen beruht, also auf der
Basis der Biologie und dem Primat der Fortplanzung in
menschlichen Gesellschaften (Turek 2010, 125).
Zusammenfassung
Zuerst ist die Orientierung der Bestattungen mit dem
Kopf ungefähr nach Süden und den Füßen nach Norden
hervorzuheben, was der üblichen Sitte in Ostösterreich
in der Frühlatènezeit entspricht (z. B. Pottenbrunn,
Mannersdorf, Au am Leithagebirge). Weiters ist bemerkenswert, dass wir in diesem Ausschnitt des (sicher
größeren) Gräberfeldes – mit Ausnahme des Kindergrabes, wo das Geschlecht nicht bestimmbar ist – nur biologisch männliche Bestattete vor uns haben. Außerdem
kommen in vier Gräbern Wafen vor, was einen überaus
hohen Anteil darstellt. Ofensichtlich wurde mit dieser
Grabungsläche genau eine Gruppe bewafneter Männer erfasst. Dass in latènezeitlichen Gräberfeldern immer wieder geschlechtsspeziische Areale anzutrefen
sind, wurde schon mehrfach erwähnt (z. B. Ramsl 2002,
Abb. 137; Ramsl 2011, Abb. 181). Innerhalb der Gräber ist
zu bemerken, dass die keramischen Gefäße ausschließlich an die rechte Seite der Bestatteten gestellt wurden.
Auch Tierknochen als Reste von Fleischbeigaben sind in
dieser Zone zu inden. Überraschend zeigt sich die Sonderlage von einigen Wafenbeigaben, wie das Schwert
im Brustbereich der Bestattung in Grab 35 oder die Lanzenspitze bei den Füßen der Bestattung in Grab 7.
Die Grabbeigaben lassen sich in chronologischer Hinsicht in die Stufe Lt B2 (mit Ausblick nach Lt C) datieren.
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Die Gräbergruppe von Petronell stellt zusammen mit
den Gräberfeldern des Leithagebirges ein sehr prägnantes Bindeglied zwischen den Nekropolen des niederösterreichischen Traisentales und den zahlreichen Gräberfeldern der Südwestslowakei (z. B. Bujna 1995) dar.
Anmerkungen
1
Der Autor wird inanziert von SASPRO - (1340/03/03)
der Slowakischen Akademie der Wissenschaften
und koinanziert von Marie Curie Actions und FP7
der Europäischen Union.
Die Funde wurden dem Autor von Mag. Franz Sauer schon vor Jahren zur Bearbeitung angeboten,
2015 konnte schließlich auf Vermittlung von Dr.
Ernst Lauermann und dank inanzieller Zuwendung
des Landes Niederösterreich durch Mag. Franz Humer (Abteilung Kunst und Kultur) mit der Bearbeitung begonnen werden. An dieser Stelle sei allen
oben genannten Personen sowie Dr. Eduard Pollhammer und Herrn Braunegger (Depot HainburgKulturfabrik) für ihre Hilfsstellungen und Mag.
Silvia Müller für die Anstellung beim Institut für
archäologische Denkmalforschung (IAD) herzlichst
gedankt.
Literatur
Bruckner, T./Pucher, E./Sauer, F., Das frühlatènezeitliche Gräberfeld von Petronell-Carnuntum. In: F. Humer (Hrsg.), Legionslager und Druidenstab. Vom
Legionslager zur Donaumetropole, Textband (o. O.
2006) 201–207; Katalogband (o. O. 2006) 55–57.
Bujna, J., Malé Kosihy. Latènezeitliches Gräberfeld Katalog. Archaeologica Slovaca Monographiae Catalogi (Nitra 1995).
Grisard, D., Rosarot und Himmelblau. Die Farbe süßer
Beeren und des Himmels bei prächtigem Jagdwetter – oder warum Mädchen Rosa lieben. In: B. Röder
(Hrsg.), Ich Mann – Du Frau. Feste Rollen seit Urzeiten?
Begleitbuch zur Ausstellung des Archäologischen Museums Colombischlössle (Freiburg, Berlin 2014) 54–67.
Novotny, F., Die Kelten im Traisental – eine anthropologische Spurensuche, in Vorbereitung.
Ramsl, P. C., Das eisenzeitliche Gräberfeld von Pottenbrunn. Fundberichte aus Österreich Materialhefte
A11 (Wien 2002).
Ramsl, P. C., Inventar eines Kriegergrabes aus der Zivilstadt Carnuntum. In: F. Humer (Hrsg.), Legionslager und Druidenstab. Vom Legionslager zur Donaumetropole, Katalogband (o. O. 2006) 54–55.
Ramsl, P. C., Das latènezeitliche Gräberfeld von Mannersdorf am Leithagebirge, Flur Reinthal Süd, Niederösterreich. Mitteilungen der Prähistorischen
Kommission 74 (Wien 2011).
Ramsl, P. C., Die Rolle von Kinderbestattungen in latènezeitlichen Gräberfeldern Ostösterreichs (ein Ansatz). Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft Wien 140, 2010, 85–99.
Ramsl, P. C., Gewalt und Krieg – grundsätzliche Überlegungen für die mitteleuropäische Eisenzeit. In: St.
Wefers/M. Karwowski/J. Fries-Knoblach/P. Trebsche/P. C. Ramsl (Hrsg.), Wafen – Krieg – Gewalt.
Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas
79 (Langenweißbach 2015) 327–333.
Ramsl, P. C., Die latènezeitlichen Gräbergruppen von
Oberndorf/Ebene und Ossarn im Traisental, NÖ. In
Vorbereitung.
Röder, B. (Hrsg.), Ich Mann – Du Frau. Feste Rollen seit
Urzeiten? Begleitbuch zur Ausstellung des Archäologischen Museums Colombischlössle (Freiburg,
Berlin 2014).
Turek, J., Gender identities in the Eneolithic society and
the question in interpretation of social categories.
Živá archeologie – REA 11, 2010, 122–125.
Waldhauser, J., Die hallstatt- und latènezeitliche Siedlung mit Gräberfeld bei Radovesice in Böhmen, II.
Band – Gutachten und Auswertung. Archeologický
výzkum v severních Čechách 21 (Praha 1993).
19