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Ernst Lauermann/Peter Trebsche (Hrsg.) Beiträge zum Tag der Niederösterreichischen Landesarchäologie 2016 Impressum Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums N. F. 531 Asparn/Zaya 2016 Gesamtproduktion: Bösmüller Print Management GesmbH & Co. KG ISBN: 3-85460-290-5 Umschlagbild: Haselbach „Im äußeren Urban“: Grabungsläche 1 in der latènezeitlichen Zentralsiedlung, Blick von Norden (Foto: Landessammlungen Niederösterreich, P. Trebsche). 2 Vorwort zum 7. Tag der NÖ Landesarchäologie Am 11. Juni indet heuer zum 7. Mal der Tag der Niederösterreichischen Landesarchäologie statt. Dieser Tag ist für die Landesarchäologie bereits zur Tradition geworden, es werden neue Ergebnisse von diversen Forschungsund Grabungsprojekten vorgestellt. MAMUZ in Asparn und Mistelbach hat sich in den letzten Jahren als Kompetenzzentrum für Ur-, Frühgeschichte und Mittelalterarchäologie bestens bewährt. MAMUZ ist eine Erfolgsgeschichte weit über die Grenzen Niederösterreichs hinaus. Im MAMUZ Asparn wird heuer die Sonderausstellung „News from the Past“ gezeigt. Neueste archäologische Grabungsergebnisse der letzten drei Jahre geben einen tiefen Einblick in unser archäologisches Erbe. Hierbei möchte ich mich besonders bedanken bei Mag. Dr. Ronald Risy vom Stadtmuseum St. Pölten und Mag. Dr. Martin Krenn vom Bundesdenkmalamt, die wesentlich zum Gelingen der Ausstellung „News from the Past“ beigetragen haben. Im MAMUZ Mistelbach wird die Reihe großer internationaler Sonderausstellungen fortgesetzt. STONEHENGE ist das Thema, das wohl weite Besucherkreise anlocken wird. Mein besonderer Dank gilt hier dem Wissenschaftler des Jahres 2015 PD Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Wolfgang Neubauer vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie, der mit seinem englischen Partner Dr. Julian Richards von ARCHAEmedia die große Ausstellung STONEHENGE im MAMUZ Museum Mistelbach kuratiert hat. Wissenschaftliche Forschung und deren Vermittlung haben einen Bildungsauftrag, den es heißt, nach Kräften zu erfüllen. Die Bedeutung unseres archäologischen Erbes muss in den Köpfen der Menschen möglichst stark verankert werden. Das ist der Auftrag und die Herausforderung, der wir uns zu stellen haben. Ich freue mich sehr, Sie am Tag der Niederösterreichischen Landesarchäologie begrüßen zu dürfen. Dr. Ernst Lauermann Landesarchäologe für Ur- und Frühgeschichte und Mittelalterarchäologie 3 Inhaltsverzeichnis Alexander Binsteiner: Die Verbreitung der Arnhofener Plattenhornsteine im Alt- und Mittelneolithikum entlang der Donauroute nach Niederösterreich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Peter C. Ramsl: Latènezeitliche Gräber in Petronell-Carnuntum – Krieger, bewafnete Männer oder einfach Rollenbilder einer Gesellschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .12 Peter Trebsche und Stephan Fichtl: Die latènezeitliche Zentralsiedlung von Haselbach (Gemeinde Niederhollabrunn) – zum Beginn des französisch-österreichischen Forschungsprojektes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Ronald Risy: Neuigkeiten zu Aelium Cetium aus dem Untergrund von St. Pölten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Roman Igl: Das spätrömische Kleinkastell von Wallsee. Vorläuige Ergebnisse der archäologischen Untersuchung. . . . . . . . . . 45 Christian Gugl, Wolfgang Neubauer, Mario Wallner, Klaus Löcker, Geert Verhoeven und Franz Humer: „ArchPro Carnuntum“ – Erste Ergebnisse der geophysikalischen Messungen 2012–2015 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .51 Judith Benedix: Freundorf und Pottenbrunn – zwei langobardenzeitliche Gräberfelder im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Nina Brundke: Ein Gräberfeld des späten Frühmittelalters auf dem Oberleiserberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Andrea Stadlmayr, Margit Berner und Doris Pany-Kucera: Die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kindergräber vom Michelberg bei Haselbach – eine methodisch-anthropologische Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Martin Obenaus und Wolfgang Breibert: Kindsmörderinnen, Silberdiebe und „Zigeuner“ – Der Richtplatz des Landgerichtes Gföhl im 17. und 18. Jahrhundert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Volker Lindinger: Untersuchungen zu einer Funkmessanlage aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges auf dem Michelberg bei Haselbach, Niederösterreich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 5 Latènezeitliche Gräber in Petronell-Carnuntum – Krieger, bewafnete Männer oder einfach Rollenbilder einer Gesellschaft? Peter C. Ramsl1 Fundgeschichte Quellenkritik Die sieben Gräber vom Heideweg im Jahre 2003 bilden neben einem Lesefund im Bereich des sogenannten westlichen Gräberfeldes (Ramsl 2006) den frühesten Nachweis latènezeitlicher Gräber im Bereich von Petronell-Carnuntum. Aufgrund einer Notgrabung infolge des Baus eines Einfamilienhauses im Heideweg, Gemeinde Petronell-Carnuntum, wurden im Spätherbst 2003 auf einer Fläche von knapp über 2000 m2 140 Gräber der römischen Kaiserzeit und sieben der ausgehenden Frühlatènezeit durch die Abteilung für Bodendenkmale des Bundesdenkmalamtes aufgedeckt. Dem Grabungsteam unter der Leitung von Mag. Franz Sauer gehörten u. a. Mag. Ursa Jarc und Wladimir Stachura an. Nach der Dokumentation und Bergung der Bestattungen wurden die menschlichen Skelette der Anthropologin Dr. Silvia Renhart zur Bearbeitung übergeben; die Tierknochen der Fleischbeigaben gingen an den Archäozoologen Dr. Erich Pucher (Naturhistorisches Museum Wien). Die geborgenen Artefakte wurden in den Restaurierungswerkstätten des Bundesdenkmalamtes im Arsenal und in Mauerbach durch Mag. Murat Yasar restauriert und schließlich teilweise von Stefan Schwarz gezeichnet. Die Fundaufnahme durch den Autor erfolgte im archäologischen Depot in der Kulturfabrik Hainburg. Hier konnten insgesamt noch 35 Artefakte gezeichnet, digitalisiert und beschrieben werden. Schließlich erfolgten die typologische und chronologische Einordnung der Objekte sowie die Einbindung der Gräbergruppe im engen geographischen Rahmen. Die Bestattungen wurden nach den üblichen archäologischen Methoden dokumentiert, geborgen und restauriert. Leider konnte ein kleiner Teil der Artefakte im Depot trotz mehrmaliger, intensiver Suche nicht aufgefunden werden. Allerdings handelt es sich dabei nicht um Funde, die feinchronologisch von großer Wichtigkeit wären. Ein Teil der Gräber selbst war durch (zeitgenössischen) Grabraub beeinträchtigt. So waren Grab 7, 11, 45 und 89 im Bereich der beigesetzten Körper in verschiedenster Weise mittel bis schwer verworfen. Dadurch „fehlen“ nicht nur die Beigaben und Trachtbestandteile, sondern auch die Information der Lage zueinander. Daher war es in diesen Fällen zwar möglich, die verbliebenen Funde chronologisch einzuordnen und zu vergleichen, eine eingehende Analyse war dadurch nur bedingt möglich. 12 Beschreibung der Gräber Grab 2A Grabgrube mit Kinderbestattung (3–6 Jahre, Geschlecht?): Süd–Nord-orientierte Körperbestattung in gestreckter Rückenlage (Abb. 1), je eine Bronzeibel auf den Schultern, an der rechten Seite des Skeletts (von Süd nach Nord) zwei Keramikgefäße, eine Schale und Tierknochen (Schaf). 1 Petronell, Grab 2A, Überblick (Foto: BDA, F. Sauer). 2 Petronell, Grab 7, Überblick (Foto: BDA, F. Sauer). Grab 7 (von Süd nach Nord) stehen ein Töpfchen, zwei Kegelhalsgefäße, daneben eine Schale und in einem Abstand von 40 cm an der Schachtwand Gefäßfragmente, „darin Reste von Holzkohle und Leichenbrand“, nordwestlich davon Tierknochen und noch eine Schale. Grabschacht mit Männerbestattung (35–45 Jahre) und möglicherweise Urnenbestattung: stark gestörte Körperbestattung im Westteil des Schachtes, wobei nur mehr der linke Unterschenkel in situ war (Abb. 2). Von Süden nach Norden, parallel zum nicht erhaltenen rechten Bein liegen eine eiserne Lanzenspitze (nach Norden orientiert), im Bereich des rechten Beckens Eisenfragmente, im linken Bereich ebenso, im unteren Bereich des Oberkörpers ebenfalls Eisenfragmente und ein bronzener gerippter Ring. An der rechten Körperseite Grab 11 Grabschacht mit Männerbestattung (41–50 Jahre) im Zentrum eines annähernd quadratischen Grabgartens: Skelett in gestreckter Rückenlage (Süd–Nord-orientiert), Oberkörperbereich und Füße waren gestört (Abb. 3). 13 3 Petronell, Grab 11, Detail (Foto: BDA, F. Sauer). 4 Petronell, Grabumhegung Objekt 3, Überblick (Foto: BDA, F. Sauer). 5 Petronell, Grab 35, Detail (Foto: BDA, F. Sauer). Beim linken Fuß lag ein langer Lanzenschuh, auf gleicher Höhe an der Ostseite des Schachtes eine grautonige Schüssel „mit Inhalt“, neben dem rechten Bein Tierknochen. Im Bereich des Oberkörpers kamen Keramik- und Eisenfragmente, im Bereich des linken Oberarmes weitere Eisenreste zutage. Ausgehend vom Nordost-Eck des Grabschachtes standen zwei Kegelhalsgefäße, eine Schale und nördlich davon eine kleinere Schale. Objekt 3 (Grabumhegung) 14 Das Objekt ist eine annähernd quadratische Grabenanlage, Nord–Süd-orientiert mit einer Eingangsöfnung im Süden (Abb. 4). Das Nordost-Eck leicht verlängert, es gibt Pfostensetzungen beim Nordost-Eck außen (Obj. 5) und innen (Obj. 9?) sowie im Südost-Eck innen. Ausbuchtungen an der Grabenkante deuten auf Pfos- 6 Petronell, Grab 35, Überblick (Foto: BDA, F. Sauer). tensetzungen. Die Ausmaße betragen 770 x 720 cm, die Breite 50–90 cm und die Tiefe 20–30 cm. Grab 35 Grabschacht mit Männerbestattung (41–50 Jahre): Skelett in gestreckter Rückenlage (Süd–Nord-orientiert) an der Westseite des Grabschachtes, der Kopf ist leicht nach links gedreht, die rechte Tibia und beide Füße fehlen (Abb. 5–6). In der Westhälfte befanden sich links vom Kopf eine Eisenlanzenspitze, unter dem Kiefer einige Eisenfragmente, im Bereich der linken Schulter eine Eisenibel und oberhalb der rechten Schulter ebenso Eisenfragmente. Auf der linken Körperhälfte (von der Mitte des Brustkorbs bis zur Mitte der Oberschenkel) lagen ein Eisenschwert mit vier Eisennieten im Gribereich, im Beckenbereich wiederum Eisenreste, bei der linken Hand ein Eisenmesser und im Fußbereich Eisenreste. Rechts neben dem Körper (von Süd nach Nord) standen ein Keramikgefäß, daneben ein laschenförmiges Gefäß und nördlich davon zwei Schalen. Danach folgten Tierknochen, beim rechten Knie ein kleines Gefäß und auf Fußhöhe ein Topf. Grab 45 Grabschacht mit Männerbestattung (45–55 Jahre), welche im Nordwest-Bereich durch Grab 68 gestört ist (Abb. 7). Das Skelett (SSO–NNW-orientiert) war fast komplett verworfen. Im Ostbereich (von Nord nach Süd) befanden sich ein grautoniges, daneben ein schwarztoniges Gefäß und drei weitere Keramiken. Im 15 Südwesten lagen eine Eisenschere, parallel zu ihr nach Osten ein Schleifstein und einige weitere Fragmente eines Eisenmessers. Grab 84 Grabschacht mit Männerbestattung (41–50 Jahre): Skelett in gestreckter Rückenlage (Süd–Nord-orientiert), der Oberkörper fehlt, Füße, Oberschenkel, das rechte Becken und die Lendenwirbelsäule sind in situ; im Bereich des Oberkörpers liegen zwei Schädel (Abb. 8). In der Westhälfte sind bei den Füßen Eisennägel, rechts vom rechten Oberschenkel ein Eisenring zu inden. Östlich davon liegen die Reste einer eisernen Schwertscheide, im Beckenbereich und an der Innenseite des rechten Oberschenkels Eisenfragmente. Oberhalb des Kopbereiches zwei Eisenreste und rechts des Oberkörpers eine Eisenlanzenspitze. In der Osthälfte (von Süd nach Nord) stehen rechts des Kopfes ein laschenförmiges Gefäß, anschließend eine Schale, auf Fußhöhe sind Tierknochen und ein Eisenfragment zu inden. Grab 89 Grabschacht mit Männerbestattung (41–50 Jahre): stark zerplügte Bestattung, komplett verworfen, im SO-Bereich Reste von Rippen. In der Mitte der Grabsohle Reste eines grautonigen Gefäßes sowie Skelettreste, im südlichen Teil Tierknochen. Analyse und Bewertung 7 Petronell, Grab 45, Überblick (Foto: BDA, F. Sauer). 16 Von den sieben Gräbern mit acht Bestattungen sind fünf als gestört zu betrachten, was die Aussagekraft einer Analyse (aufgrund der Quellenkritik) natürlich einschränkt. Hervorzuheben ist Grab 7 mit einer Körper- und einer Brandbestattung. Birituelle Gräber sind bei näherer Analyse von latènezeitlichen Gräberfeldern durchaus gängig, wie beispielsweise bei Grab 1984/6a von Ossarn im Traisental, in dem eine Körperbestattung mit zwei Urnen und einer Brandbestattung lag (Ramsl in Vorb.). Über die Bewafnung ist Folgendes zu sagen: In Grab 7 sind eine Lanzenspitze und Fragmente einer Schwertscheide zu inden, in Grab 11 ein Lanzenschuh und (vermutlich) die Fragmente einer Schwertscheide, Grab 35 ist vollständig erhalten mit Lanzenspitze und Schwert in der Scheide, und Grab 84 enthält eine Lanzenspitze, Fragmente einer Schwertscheide sowie Schildrandteile. Also scheinen bei allen vier Bestattungen Schwerter und Lanzen mitgegeben worden zu sein, allein Grab 84 enthält auch Hinweise auf einen Schild. Die kritische Analyse erfordert es, einerseits das biologische und soziale Geschlecht und andererseits die Bedeutung und den Status der Bewafnung bei latènezeitlichen Bestattungen zu diskutieren. Das Skelett in Grab 2A wird anthropologisch als das eines Kindes (Alter: 3–6 Jahre) bestimmt, das biologische Geschlecht ist unbekannt. Als Trachtbestandteile sind zwei Fibeln vorhanden, die jeweils auf der rechten und linken Schulter zu inden sind. Diese Anzahl und Anordnung deuten bei adulten Individuen zumindest statistisch eher auf eine Frauentracht hin, dennoch können (nicht nur) bei Kindern weitere Überlegungen angestellt werden. Wie schon bekannt (Ramsl 2010) können die Trachtbestandteile von Kindern unterschiedlich interpretiert werden. Sind zwei Armreife an den Handgelenken hier nicht unbedingt mit der weiblichen Sphäre gleichzusetzen, so ist die spiegelgleich-symmetrische Fibeltracht ähnlich zu hinterfragen. Wie aus vielen historischen Beispielen bekannt, haben Buben oft Bekleidung getragen, die heutzutage als eher weiblich angesehen wird, wie beispielsweise in Amerika um 1850, wo Buben rosa Kleidchen trugen (Grisard 2014, 65 Abb. 3). Gräber von anthropologisch männlich bestimmten Individuen mit Wafen wurden und werden oft ohne zu zögern als „Kriegergräber“ bezeichnet. Dabei muss man sich bewusst sein, dass „Krieger“ ein höchst interpretativer Begrif mit vielen Bedeutungen ist. „Krieger“ ist ein Status, den man durch Initiation in einem bestimmten Alter erhält (siehe auch Ramsl 2015, 329–330), was aber nicht bedeutet, dass jeder, dem Wafen ins Grab gelegt werden, aktiv an Kamphandlungen beteiligt gewesen sein muss. Ebenso könnte er sie rein aus Statusoder Prestigegründen erhalten haben oder er könnte beispielsweise der Vorstand eines landwirtschaftlichen Hofes, also einer familia, gewesen sein (Waldhauser 1993, 396). Anthropologische Ergebnisse aus Niederösterreich lassen sogar erahnen, dass aufgrund zum überwiegenden Teil fehlender Pathologien an den Skeletten entweder der Krieg extern ausgetragen wurde oder es sich wirklich um eine halbwegs friedfertige Phase handelt – abgesehen davon, dass sich ja nur ein Teil der möglichen Verletzungen am Skelett abzeichnet (Novotny in Vorb.). 8 Petronell, Grab 84, Überblick (Foto: BDA, F. Sauer). 17 Schließlich muss daran erinnert werden, dass es im latènezeitlichen Milieu auch anthropologisch bestimmte Frauen gibt, denen Wafen ins Grab gegeben wurden. Hiermit beschäftigt sich das Forschungfeld der „gender identities“, also der sozialen Identität, in seiner ganzen Bandbreite (Röder 2014). Dabei muss uns bewusst sein, dass unsere gängige Vorstellung von geschlechtsspeziischen Rollenbildern auf den westlich-christlichen Kategorien von Männern und Frauen beruht, also auf der Basis der Biologie und dem Primat der Fortplanzung in menschlichen Gesellschaften (Turek 2010, 125). Zusammenfassung Zuerst ist die Orientierung der Bestattungen mit dem Kopf ungefähr nach Süden und den Füßen nach Norden hervorzuheben, was der üblichen Sitte in Ostösterreich in der Frühlatènezeit entspricht (z. B. Pottenbrunn, Mannersdorf, Au am Leithagebirge). Weiters ist bemerkenswert, dass wir in diesem Ausschnitt des (sicher größeren) Gräberfeldes – mit Ausnahme des Kindergrabes, wo das Geschlecht nicht bestimmbar ist – nur biologisch männliche Bestattete vor uns haben. Außerdem kommen in vier Gräbern Wafen vor, was einen überaus hohen Anteil darstellt. Ofensichtlich wurde mit dieser Grabungsläche genau eine Gruppe bewafneter Männer erfasst. Dass in latènezeitlichen Gräberfeldern immer wieder geschlechtsspeziische Areale anzutrefen sind, wurde schon mehrfach erwähnt (z. B. Ramsl 2002, Abb. 137; Ramsl 2011, Abb. 181). Innerhalb der Gräber ist zu bemerken, dass die keramischen Gefäße ausschließlich an die rechte Seite der Bestatteten gestellt wurden. Auch Tierknochen als Reste von Fleischbeigaben sind in dieser Zone zu inden. Überraschend zeigt sich die Sonderlage von einigen Wafenbeigaben, wie das Schwert im Brustbereich der Bestattung in Grab 35 oder die Lanzenspitze bei den Füßen der Bestattung in Grab 7. Die Grabbeigaben lassen sich in chronologischer Hinsicht in die Stufe Lt B2 (mit Ausblick nach Lt C) datieren. 18 Die Gräbergruppe von Petronell stellt zusammen mit den Gräberfeldern des Leithagebirges ein sehr prägnantes Bindeglied zwischen den Nekropolen des niederösterreichischen Traisentales und den zahlreichen Gräberfeldern der Südwestslowakei (z. B. Bujna 1995) dar. Anmerkungen 1 Der Autor wird inanziert von SASPRO - (1340/03/03) der Slowakischen Akademie der Wissenschaften und koinanziert von Marie Curie Actions und FP7 der Europäischen Union. Die Funde wurden dem Autor von Mag. Franz Sauer schon vor Jahren zur Bearbeitung angeboten, 2015 konnte schließlich auf Vermittlung von Dr. Ernst Lauermann und dank inanzieller Zuwendung des Landes Niederösterreich durch Mag. Franz Humer (Abteilung Kunst und Kultur) mit der Bearbeitung begonnen werden. An dieser Stelle sei allen oben genannten Personen sowie Dr. Eduard Pollhammer und Herrn Braunegger (Depot HainburgKulturfabrik) für ihre Hilfsstellungen und Mag. Silvia Müller für die Anstellung beim Institut für archäologische Denkmalforschung (IAD) herzlichst gedankt. Literatur Bruckner, T./Pucher, E./Sauer, F., Das frühlatènezeitliche Gräberfeld von Petronell-Carnuntum. In: F. Humer (Hrsg.), Legionslager und Druidenstab. Vom Legionslager zur Donaumetropole, Textband (o. O. 2006) 201–207; Katalogband (o. O. 2006) 55–57. Bujna, J., Malé Kosihy. Latènezeitliches Gräberfeld Katalog. Archaeologica Slovaca Monographiae Catalogi (Nitra 1995). Grisard, D., Rosarot und Himmelblau. Die Farbe süßer Beeren und des Himmels bei prächtigem Jagdwetter – oder warum Mädchen Rosa lieben. In: B. Röder (Hrsg.), Ich Mann – Du Frau. Feste Rollen seit Urzeiten? Begleitbuch zur Ausstellung des Archäologischen Museums Colombischlössle (Freiburg, Berlin 2014) 54–67. Novotny, F., Die Kelten im Traisental – eine anthropologische Spurensuche, in Vorbereitung. Ramsl, P. C., Das eisenzeitliche Gräberfeld von Pottenbrunn. Fundberichte aus Österreich Materialhefte A11 (Wien 2002). Ramsl, P. C., Inventar eines Kriegergrabes aus der Zivilstadt Carnuntum. In: F. Humer (Hrsg.), Legionslager und Druidenstab. Vom Legionslager zur Donaumetropole, Katalogband (o. O. 2006) 54–55. Ramsl, P. C., Das latènezeitliche Gräberfeld von Mannersdorf am Leithagebirge, Flur Reinthal Süd, Niederösterreich. Mitteilungen der Prähistorischen Kommission 74 (Wien 2011). Ramsl, P. C., Die Rolle von Kinderbestattungen in latènezeitlichen Gräberfeldern Ostösterreichs (ein Ansatz). Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft Wien 140, 2010, 85–99. Ramsl, P. C., Gewalt und Krieg – grundsätzliche Überlegungen für die mitteleuropäische Eisenzeit. In: St. Wefers/M. Karwowski/J. Fries-Knoblach/P. Trebsche/P. C. Ramsl (Hrsg.), Wafen – Krieg – Gewalt. Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas 79 (Langenweißbach 2015) 327–333. Ramsl, P. C., Die latènezeitlichen Gräbergruppen von Oberndorf/Ebene und Ossarn im Traisental, NÖ. In Vorbereitung. Röder, B. (Hrsg.), Ich Mann – Du Frau. Feste Rollen seit Urzeiten? Begleitbuch zur Ausstellung des Archäologischen Museums Colombischlössle (Freiburg, Berlin 2014). Turek, J., Gender identities in the Eneolithic society and the question in interpretation of social categories. Živá archeologie – REA 11, 2010, 122–125. Waldhauser, J., Die hallstatt- und latènezeitliche Siedlung mit Gräberfeld bei Radovesice in Böhmen, II. Band – Gutachten und Auswertung. Archeologický výzkum v severních Čechách 21 (Praha 1993). 19